Fachtagung: Professionalität und Vertrauensbildung im Kontext von Islam und Bildungsarbeit
Mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) der Goethe-Universität Frankfurt (AIWG) (siehe den Bericht zur Fachtagung hier) hat der Lehrstuhl Islamisch-Religiöse Studien mit Schwerpunkt Religionspädagogik/Glaubenslehre am 08. und 09. November 2024 am Department für Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eine Fachtagung zum Thema „Professionalität und Vertrauensbildung im Kontext von Islam und Bildungsarbeit“ ausgerichtet. Unter der Tagungsleitung von Prof. Tarek Badawia, Dr. Said Topalović und Dr. Fatma Aydinli hat die zweitägige Fachtagung für rund 90 Expert*innen, Referent*innen und Teilnehmer*innen aus Wissenschaft, Gesellschaft und Praxis einen Begegnungsraum für den fachlichen Austausch und kollegiales Networking geschaffen.
Die Fachtagung widmete sich dem Anliegen, das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Bedarf an Professionalisierung und Vertrauensbildung im Kontext von Islam und Bildung (in Schule und Sozialarbeit) aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und anhand aktueller empirischer und theoretischer Beiträge zu diskutieren. Einführend erläuterte Prof. Tarek Badawia die Beweggründe dieses Anliegens, das sich aus zwei Forschungsprojekten zur Dynamik von Professionalität und Vertrauen ergibt. Er unterstrich die Relevanz einer dialogischen und respektvollen Auseinandersetzung mit gesellschaftlich und fachwissenschaftlich kritischen Kontroversen über den Beitrag der Islamischen Bildung für den gesellschaftlichen Frieden.
Im Mittelpunkt vieler Auseinandersetzungen steht der Islamische Unterricht als Gegenstand der Diskussion mit symbolischer Bedeutung. Inzwischen hat sich der Islamische Unterricht bundesweit an vielen öffentlichen Schulen zum Regelfach etabliert. Die Islamlehrkräfte werden bundesweit an mehreren Universitäten und pädagogischen Hochschulen ausgebildet. Dennoch scheint sich das vergleichsweise „Neue Schulfach“ Islamischer Unterricht in Zeiten zunehmender politischer Polarisierung und gesellschaftlicher Spaltungsdiagnosen sehr gut als Projektionsfläche für Misstrauensdebatten und chronische Skepsis gegenüber Islam und Muslim*innen zu eignen. Aufgrund von zunehmender Radikalisierungstendenzen bei jungen Muslim*innen im In- und Ausland ist inzwischen eine Debatte um den Mehrwert dieses Faches für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratiebildung entfacht. Offensichtlich berührt das Fach in unserer Gegenwart viele Triggerpunkte, bei denen es um viel mehr geht als das Recht des jungen Menschen auf religiöse Bildung oder die pädagogische Professionalität der Unterrichtspraxis selbst. Mit der Erforschung des Verhältnisses der beiden Schlüsselkategorien „Professionalität und Vertrauen“ will das Erlanger Forschungsteam am Lehrstuhl für Religionspädagogik einen konstruktiven Beitrag zur Versachlichung von stark emotional aufgeladenen Debatten leisten.
In seinem Eröffnungsvortrag plädiert Prof. Mathias Rohe für die unabdingbare Differenzierung der unterschiedlichen Ebenen, auf denen Prozesse der Professionalisierung und Vertrauensbildung in Bereich Islam und Bildung stattfinden. Alle Bemühungen haben sich darauf zu fokussieren, dass das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit nicht erschüttert wird. Aus einer praktisch-theologischen Perspektive gab Prof. Bülent Ucar im zweiten Eröffnungsvortrag Aufschluss über einige historische Hintergründe für das zunehmende Misstrauen gegenüber Islam und Muslim*innen, und darüber, wie diese die kollektive Erinnerungskultur im europäischen Raum prägen.
Frau Dr. Raida Chbib, Geschäftsführerin der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft, hat im Hinblick auf die Fachentwicklung der Islamischen Theologie und Religionspädagogik inhaltlich relevante Perspektiven und wissenschaftspolitische Herausforderungen thematisiert. Aus professionstheoretischer Perspektive präsentierten die Autoren der Studie „Von einer »Phantom-Lehrkraft« zum »Mister Islam«“ Prof. Tarek Badawia, Dr. Said Topalović (Aida Tuhčić entschuldigt) einen Überblick über ihre Forschungsergebnisse zur Lehrerprofessionalität im Islamunterricht. Prof. Meltem Kulacatan ging in ihrem Beitrag der Frage nach den Erwartungen an die religiöse Bildung als Mittel gegen Radikalisierungsangebote nach und stellte Aspekte der Schulsozialarbeit mit Blick auf Prävention und religiöse Bildung dar. Bezugnehmend auf seine aktuelle Studie zum Stand des Islamischen Unterrichts in Hessen beleuchtete Prof. Yasar Sarikaya das spannungsreiche Verhältnis von Neutralität, Vorbildfunktion und Authentizität im Berufsalltag von Islamlehrkräften.
Das Samstagsprogramm startete mit zwei Fachvorträgen zum Islamischen Unterricht in Niedersachsen (Prof. Riem Spielhaus) und in Bayern (Dr. Bettina Scherbaum), in denen Aushandlungsperspektiven zu wissenschaftlichen, politischen, juristisch administrativen und akademischen Erwartungen im Verhältnis zum Konzept des Vertrauens vorgestellt worden sind. In den anschließenden Beiträgen wurde die schulische Perspektive durch die Beiträge von Prof. Michael Kiefer über das Konzept der Neuen Autorität in der Schule, von Prof. Naime Cakir-Mattner zur Professionalisierung der sozialen Arbeit im islamischen Kontext und von Prof. Hansjörg Schmid zum Verhältnis von Vertrauen und Professionalität im Handlungsfeld der Muslimischen Krankenhausseelsorge um wertvolle Hinweise auf die praktisch-theologische Relevanz der Vertrauensbildung in sozialen Berufen erweitert. Daran anschließend stellte Frau Dr. Dževada Šuško, die Leiterin des Büros für internationale Zusammenarbeit der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, die dialogische Tradition des friedlichen Zusammenlebens von Juden und Muslimen in Bosnien und Herzegowina als Modell für interreligiöse Toleranz und Solidarität vor.
Das intensive Nachmittagsprogramm am Samstag deckte in den Panels zu den Themenfeldern 1) „Vertrauen und Misstrauen in Wechselwirkungen von Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft“ (Dr. Jörn Thielmann und Dr. Ertugrul Sahin (Dr. Nina Nowar entschuldigt); 2) Lehrerprofessionalität (Prof. Naciye Kamcili-Yildiz, Prof. Mehmet Tuna, Dr. Senol Yagdi) Facetten der Komplexität der Vertrauensbildungsprozesse im Kontext von Schule, muslimischer Community und Bildungspolitik ab. In fünf Workshops unter Leitung der Kolleg*innen Prof. Annett Abdel-Rahman, Prof. Imran Schröter, Dr. Ibrahim Aslandur, Dr. Bernd Ridwan Bauknecht und Sevda Kamaci wurden aktuelle didaktische Herausforderungen reflektiert und mithilfe von Ansätzen konkrete Handlungsoptionen für die Praxis des Islamunterrichts ausgearbeitet. In seinem Ausblick hob der Tagungsbeobachter Herr Amin Rochdi die besondere Bedeutung von positiven Erfahrungen im Zusammenleben für eine nachhaltige Vertrauensbildung in Schule und Gesellschaft hervor.
In zahlreichen positiven Rückmeldungen betonten die Mitwirkenden den großen Bedarf an fachlichen und kollegialen Austausch zwischen den verschiedenen Standorten. Eine regelmäßige Zusammenkunft zur Förderung des internen Fachdiskurses und der kollegialen Vernetzung wurde von den Mitwirkenden nachdrücklich befürwortet.
Tarek Badawia, Erlangen, 19.11.2024